Einer unserer Wünsche für die Reise hat sich gleich am ersten Tag auf dem mexikanischen Festland auf besondere Weise erfüllt: Wir hatten ausgiebigen Kontakt zu Einheimischen.
Am Vortag hatten wir die Fähre von La Paz nach Topolobambo genommen. Alles war reibungslos, wohlorganisiert und pünktlich gelaufen und wir hatten einen guten Übernachtungsplatz in Los Mochis gefunden. Trotzdem waren wir wohl am nächsten Tag noch ein bisschen müde. Außerdem war es aufwendig, und mit Anstrengungen verbunden, eine neue Telefonkarte für mein Handy zu besorgen. Jedenfalls haben wir an einer Straßenkreuzung eines der unzähligen Stoppschilder übersehen. Unglücklicherweise kam auf der Kreuzung ein Moped von links, das wir erst sehr spät gesehen haben. Andreas konnte noch bremsen, aber eine Kollision ließ sich nicht mehr vermeiden. Wie in Zeitlupe konnte ich zusehen, wie wir Zentimeter für Zentimeter aufeinanderzurollten, das Moped ins Straucheln kam, die Beifahrerin seitlich auf den Asphalt stürzte und der junge Fahrer sein Fahrzeug nicht mehr aufrecht halten konnte. – Horror! – Glücklicherweise stand das Mädchen gleich wieder auf. Und der junge Fahrer konnte sein Moped auf die Seite schieben. – Erleichterung! –
Ich kann gar nicht mehr sagen, in welcher Reihenfolge genau, jedenfalls sammelten sich an unserer Straßenecke sehr bald ziemlich viele Leute. Gleich als wir das Auto geparkt hatten, waren zwei Polizisten zur Stelle, die zuerst die Beifahrerin, dann uns befragten. Das Mädchen hatte sich offensichtlich am Arm und an der Schulter verletzt. Ich ging gleich zu ihr und sagte ihr, dass es mir sehr leid tut. (Das wollte ich jedenfalls sagen.) Sie unterbrach ihr Telefongespräch nur kurz und lächelte mir freundlich zu. Kurz darauf kam ihre Freundin mit einem großen Becher Wasser. Der Freund der Freundin kam dann auch noch dazu und ein weiterer Freund. Dann rollte eine Rot-Kreuz-Ambulanz mit 4 Sanitäter*innen an, die sie untersuchten. Er war wohl nicht gebrochen. Der Verband, den sie ihr um Arm und Schulter anlegten, schien wirkungsvoll zu sein. Jedenfalls entspannte sich ihr Gesicht. Und der Fahrer des Mopeds versicherte, ihm und auch dem Moped sei nichts passiert. „Todo bueno!“ Inzwischen kam der Restaurantbesitzer von gegenüber und half uns mit seinen Englischkenntnissen aus. Von irgendwoher tauchten weitere Polizisten auf – ich denke, insgesamt waren es fünf. Ich versuchte, irgendwie im Blick zu behalten, was passiert und mit meinen sehr übersichtlichen Spanischkenntnissen Rede und Antwort zu stehen. Andreas telefonierte währenddessen mit den Mitarbeitern der Autoversicherung – sie sprechen tatsächlich Englisch – die uns und alle Beteiligten anwiesen, an Ort und Stelle auf einen Gutachter zu warten. – Dann trat ein breiter Typ mit langen Haaren und ein paar Ausweisen vor der Brust auf. Er meinte, wir seien nicht schuld. An dieser Kreuzung passiere so viel und das läge an dem Verkehrssystem, das die „Gringos“ hier eingeführt hätten. Dann lenkte er das Gespräch auf den FC Bayern München und erzählte uns stolz, dass er sie habe spielen sehen – und auch Leverkusen. – Wir kamen erst später drauf, dass das der Lokaljournalist gewesen sein könnte.
Schließlich kam auch der Gutachter. Ein ziemlich seriös wirkender Mensch, der sich allerdings von seiner Frau fahren ließ und eine dicke Beule im Auto hatte. – Er und alle anderen hatten Zeit. Alle waren entspannt und sehr freundlich. Keine einzige abfällige Bemerkung zu uns als Ausländern. Im Gegenteil, es schien, als seien einige froh über die Gelegenheit, mit uns als Fremden in Kontakt zu kommen. Der Restaurantbesitzer lud uns ein, zwischendurch bei ihm Mittag zu essen. Das tatennwir dann auch, nachdem das Mädchen von seinen Eltern abgeholt worden war und sich die Gesellschaft am Tatort aufgelöst hatte. Der Gutachter setzte sich zu uns, erklärte, wir müssten zur Polizeistation und etwa 100 $ Strafe bezahlen, sollten uns aber gerne mit dem Essen Zeit lassen. Er verabschiedete sich per google-Translater: „Es ist mir eine Freude Ihnen zu dienen und Sie weiterhin mit Ihrem Urlaub zufrieden zu sein.“
Auf dem Polizeipräsidium wurden wir gleich am Eingang von einem Beamten freudestrahlend begrüßt: „Stefan!“ (Andreas zweiter Vorname ist Stefan.) „Gutten Tag!“
Nachdem wir unsere Strafe bei seiner Sekretärin bezahlt hatten, verabschiedete er Andreas mit einem Lachen und einem herzhaften Handschlag und wünschte uns „Gute Reise!“
Wow!
Da fällt mir diese „sagen-hafte“ Geschichte ein von einem Volk in Afrika.
Begeht ein Mitglied dieses Stammes ein Unrecht, versammeln sich alle auf dem Dorfplatz. Die Person, die das Vergehen begangen hat, wird in die Mitte genommen. Die im Kreis um sie stehenden Menschen fangen an zu hüpfen und spiegeln der Person all jene Dinge, die sie von ihr kennen, die sie schätzen. Auch Dinge / Erlebnisse aus der Kindheit werden wieder-erzählt, in denen die Person „gut war“ und „gutes Tat“…
Mit ihren Geschichten wollen sie den Menschen an seine „wahrhaftige, gute“ Natur erinnern…
Ich stelle mir unsere Gerichtssäle vor, sollte diese Geschichte bei uns Wirklichkeit werden: wie Richter:innen, Advokaten, Rechtsanwältinnen, Verteidigerinnen im Gerichtssaal hüpfend von ihren Recherchen berichten, die von den vergessenen Fähigkeiten, Werten, guten Taten berichten. Zeugen und Zeuginnen, Freunde und Verwandte erinnern ….
Wow, ich stelle mir das ganz schön kraftvoll und schön vor.
Da passiert keine Beschämung… Was für eine schöne, kaum vorstellbare Geschichte. Und ich glaube, so wie wir noch „eingenordet“ sind, wäre dies ganz schön überflutend, da in der Mitte zu stehen…
Wie ging es euch, mit all der Freundlichkeit, dem Willkommensein und der großzügigen Gastfreundschaft (, dem Fehlvergehen zum Trotze)?
Ich freue mich auf euch!
Danke, liebe Christine,
für diese Vision. Ja, das würde bestimmt viel verändern. Wenn wir überhaupt anfangen würden unser Augenmerk stärker auf das, was uns an anderen gefällt, zu lenken.
Und es ist wahr, in diesem Empfang in Mexiko lag keine Beschämung. Ich hatte eher ein Gefühl von Akzeptanz: Ja, so etwas passiert uns Menschen halt. Und darüberhinaus gibt es noch so viel mehr …
Wow, was für eine irre Geschichte. Macht mir gleich gute Laune heute Morgen.
💕🤗
Whoww, was für ein Erlebnis, bin beeindruckt. Vor vielen Jahren durfte ich ca. 2 Jahre lang Anteil haben an einem Kreis mexikanischer Freundinnen – ich erlebte dort sehr viel Lebensfreude, Herzlichkeit und Empathie. Denke gern an diese Zeit zurück und wünsche Euch eine sonnenschöne Zeit in Mexiko.
Danke, lieber Martin!