Deutschland von hier aus

Ich habe mir eine Reise immer wie eine Linie auf der Landkarte vorgestellt. So in etwa, wie unsere Reise auf „polarsteps“ dargestellt wird.

Aber von innen her empfinde ich das Reisen gar nicht, jedenfalls nicht nur, als einen Weg, bei dem man von einem Ort zum anderen zieht, Altes hinter sich lässt und Neues entdeckt. Für mich ist diese Reise eher wie eine bunte Papierlaterne, die zuerst nur wie ein einfarbiges Papierstück erscheint, sich dann von Tag zu Tag entfaltet und immer mehr Farben und Formen sichtbar werden lässt.

Nichts, was war, ist einfach vorbei, keiner der unendlich vielen Eindrücke verschwindet. Erlebnisse und Eindrücke bilden Vorlagen für das Neue, das uns begegnet; manches, was wir früher gesehen haben, erscheint in einem neuen Licht durch das, was uns heute begegnet. (Wahrscheinlich ist das im Leben immer so, nur wirkt die Reise wie ein Vergrößerungsglas, durch das punktuell deutlicher sichtbar wird, was sonst auch stattfindet.)

So bleibt auch Deutschland, unser Zuhause, unsere Kinder, Familien, Freunde und Kollegen und die Menschen, die uns auf der Reise bisher begegnet sind, immer Teil unseres Erlebens. Auch, wenn wir uns nicht körperlich begegnen, spüren wir die Präsenz gewachsener Verbindungen. Zudem ermöglicht die digitale Technik ja auch den Austausch über weite Entfernungen, so dass unsere Beziehungen sich auch immer wieder erneuern, verändern, vertiefen. Wir sind sehr froh, so mehr oder weniger intensiv mit unseren Lieben in Verbindung zu bleiben. Das lindert auch das Heimweh, das mich immer noch subtil begleitet.

Auf einer anderen Ebene nehmen wir – auch Dank der digitalen Medien – natürlich auch Anteil an dem, was politisch gerade passiert. Das Ampel-Aus, die Anschläge in Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg und gestern in München. – Schrecklich! – Dass es politisch nur noch ein Thema zu geben scheint: Migration …. Wir bekommen einigermaßen mit, was „unsere“ Medien berichten. Wir spüren gerade nicht am eigenen Leibe, ob und wie sich das Lebensgefühl in Deutschland verändert. Wird es ein anderes Land sein, wenn wir zurück kommen? Wird es sich auch noch in zwei Jahren wie das Zuhause anfühlen, in dem wir so frei, so sicher, so gut versorgt, bisher gelebt haben? Denn eins lässt sich vielleicht von hier aus besser erkennen: Was es für ein Glück ist, in einem demokratischen Rechtsstaat zu leben, freien Zugang zu Bildung, bezahlbarem Wohnraum und medizinischer Versorgung zu haben und die Sicherheit, sich auf geschriebenes Recht berufen zu können; sagen und schreiben zu können, was man denkt, ohne Angst, dafür ins Gefängnis zu kommen.

Als Touristen erhaschen wir nur hier und dort einen Eindruck davon, wie es ist, wenn das nicht so ist; was es bedeuten kann, wenn charismatische Führer sich an die Spitze eines Staates setzen, zunächst vielleicht mit hoher Motivation viele Dinge verbessern, dann aber immer mehr Macht an sich binden und für viele Menschen der persönliche Bewegungsspielraum immer enger, die Versorgung schlechter, Arbeits- und Bildungsmöglichkeiten immer weniger werden.

Andererseits sieht mein Leben in Deutschland von hier aus aus, wie ein Tiergehege im Zoo. Es ist alles da, was ich brauche – und noch viel mehr – es ist sehr bequem eingerichtet, es ist sehr geordnet, sicher und schön. Es ist in mehrfacher Hinsicht reich – aber es ist nur ein Splitter von dem, was an Lebensvielfalt und -fülle auf unserer Erde zur Verfügung steht.

Inzwischen kann ich die Menschen verstehen, die jahrelang unterwegs sind, auf festes Einkommen, Rentenansprüche und ein Haus mit Garten verzichten.

Von unterwegs aus erscheint der geordnete, abgesicherte Reichtum unseres Zuhauses auf der einen Seite maßlos im Vergleich zu dem, wie die meisten anderen Menschen auf der Welt leben. Auf der anderen Seite sieht unser solides Zuhause samt geordnetem Alltag aus der Entfernung etwas spröde und spießig aus, ein bisschen eng. Eben nur ein kleiner Ausschnitt einer großen Welt.

Und ich habe bisher noch keinen Ort gefunden, an dem ich lieber leben möchte als in Deutschland ( nicht unbedingt in Goldscheuer). Vor allem natürlich, weil unsere Kinder, Familien und Freunde dort leben.

2 Anmerkung zu “Deutschland von hier aus

  1. Martin

    Wohww, liebe Stefanie, hast Du schon mal daran gedacht, schriftstellerisch tätig zu sein / zu werden? Ich bin immer wieder begeistert, wie die passenden, richtigen, „guten“ Worte aus Dir herausströmen, sich hier niederlassen und ich sie lesen darf. Und dazu diese kreative Veranschaulichung der Reise als Collage – das macht Freude! Chapeau!

    Tja, Deutschland / Europa verändert sich rasant. Die Freiheit wird auch hier immer mehr eingeschränkt. Inzwischen kann man auch in Deutschland nicht mehr sagen / schreiben, was man wirklich denkt, wenn es nicht politisch korrekt ist; und was das ist bestimmen vor allem die Leitmedien, die immer mehr zu Propagandainstrumenten und zu Gehirnwäscheapparaten á la George Orwell verkommen – weit jenseits von Unabhängigkeiten. Das ist erschreckend. Das mehr oder weniger sorgenfreie Leben wie Du es beschreibst ist jedenfalls für immer mehr Bürger*innen vorbei. Die große gesellschaftspolitische Reiseplanung ist aus meiner Sicht ähnlich wie damals die der Titanic. Passt auf Euer Geld auf, nicht nur aus diesem Grund: Unser kommender Bundeskanzler Merz hat auf die Frage, wie er die hunderte Milliarden Euros „Sonderschulden“ finanzieren möchte, geantwortet: Auf Deutschen Giro- und Sparkonten liegen 2,8 Billionen Euro, wir sind in einer Notlage und stellen Sie sich vor, wir würden nur 10% dieser Summe einziehen.“ Damit muss man demnächst also rechnen und mit noch viel mehr. (Stand gestern in der Berliner Zeitung – ein Blatt, das sich noch um eingermaße neutrale Informationen bemüht).

    Aus meiner Sicht eines in Deutschland häuslich niedergelassenenen Pensionärs sind das keine guten Ent-Wicklungen. Eher selbstbezogene Gedankenspiele, wie wir aus „so einer“ EU herauskommen, tauchen immer öfter auf. Aber Du hast natürlich Recht: Ist es in der Schweiz oder sonstwo wirklich besser? Andererseits braucht es in den kommenden Jahren immer mehr helfende Hände gerade hier, wo wir jetzt sind…

    Ich bemühe mich, die Dinge weder durch eine pessimistische noch durch eine optimistische Brille zu betrachten, sondern möglichst ohne Brille. Ich bete jeden Morgen um Verbindung mit dem Geist der Wahrheit. Das ist ein Übungsweg. Und entdecke: Einige Realitäten jenseits unserer Vor-Stellungen, Ideen und „Narrative“ sind wirklich schwer verdaulich. Aber es gibt eben auch soooo viele Dinge und Ereignisse, für die ich dankbar bin und noch viel mehr Dinge, für die ich dankbarer sein sollte, als ich es tatsächlich bin.

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    1. Stefanie Autor des Beitrags

      Lieber Martin,
      was du über die Entwicklungen in Deutschland schreibst, klingt bedrohlich.
      Ja, es braucht wohl Leute, die andere Impulse setzen. Was, meinst du, wäre hilfreich? Wie können wir dem mehr Nachdruck geben, was uns wichtig ist?
      Stefanie

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