Hopkins

Was ich in Belize besonders bemerkenswert finde, ist, dass hier unterschiedliche ethnische Gruppen gleichberechtigt (?) miteinander leben. Als ich die spanischsprechenden Reinigungsfrauen in Delilahs und Kwasas Villa frage, welches die offizielle Landessprache sei, sagen sie: „Wir sind reich! Wir haben fünf Sprachen: Englisch, Spanisch, Maya-Sprache(n), Kreol und Garifuna.“ Und dann fällt ihnen noch ein: „Und die Mennoniten, sie sprechen Deutsch“. Tatsächlich gab es wohl Deutschstämmige, die im 19. Jahrhundert von Russland aus nach Zentralamerika emigriert sind. Einige von ihnen leben noch nach althergebrachten konservativen religiösen Ordnungen, ähnlich wie die Amish in den USA.

Den Maya-Nachfahren sind wir bereits bei der Kakao-„Zeremonie“ und im Restaurant begegnet. Und nun fahren wir etwa zwei Stunden von San Ignacio nach Südosten bis an die Karibikküste. In der kleinen Stadt Hopkins geben wir unsere Wäsche ab. (Was für ein Luxus!) Auf dem Campingplatz am Ortsrand begrüßt uns „Onkel Tom“ und seine zwei Enkelinnen Rayane und Aidah.

Die beiden kommen so offen und interessiert auf mich zu, dass ich ganz bezaubert bin und vergesse, was ich sonst tun wollte. (Zum Beispiel Blog schreiben.) Wir stellen uns vor und tauschen ein paar Sätze in unterschiedlichen Sprachen aus. „Ka biri?“ bedeutet in Garifuna „Wie heißt du?“. Die beiden sprechen drei Sprachen: Garifuna, Kreol und Englisch. Aidah trägt das T-Shirt einer katholischen Schule: „Play – Reading – Coloring – Arts -Friends“. Es scheint eine gute Schule zu sein und sie eine eifrige Schülerin. Jetzt sei sie in der 1. Klasse, erzählt sie, und nach der 6. wolle sie zur Highschool gehen. Nachdem wir wichtige Fragen wie „Woher kommst du?“ und „Was machst du hier?“ geklärt haben, kommt die Frage, die uns an verschiedenen Orten immer wieder gestellt wird und mich jedesmal in Verlegenheit bringt:

„Wie findest du unser Essen?“

– Puh, schwitz! Für mich ist Essen ein schwieriges Thema. Im Restaurant essen zu gehen ist fast jedesmal mit Stress oder Frust verbunden, denn es gibt in Mexiko und ganz Zentralamerika eigentlich keine traditionellen Speisen, die vegetarisch oder gar vegan sind. Auch wenn es aus meiner Sicht einfach wäre, z. B. Tortillas mit Gemüse anzubieten, es gibt sie nur mit Fleisch – Hähnchen, Schwein oder Rind, manchmal auch Fisch.

Die beiden Mädchen jedenfalls sind begeistert von der karibischen Garifuna-Küche. Mit ihren 7 und 11 Jahren können sie mir genau sagen, wie man z. B. „Hudut“ zubereitet:

„Du nimmst Fischfilet, gewürzt mit Knoblauch und Salz und brätst es an. Dann zerstößt du eine Kokosnuss, fügst (gehackte) Zwiebeln, Knoblauch, Oregano und Koreander hinzu

und darin dippst du den Fisch. Hmmmm!“ (Dazu isst man Fufu aus gekochten Bananen.) Die beiden reiben sich die Bäuche.

Laut einem Mythos sind die Garifuna Nachkommen entlaufener Sklaven aus Afrika. 1635 oder 1660 haben, so erzählt man, zwei Sklavenschiffe vor den Karibischen Inseln Schiffbruch erlitten. Die Gefangenen (Männer) seien geflohen und von den auf den Inseln lebenden Arawak mit offenen Armen empfangen worden. Die beiden Völker haben sich vermischt und daraus seien die Garifuna entstanden.

Ganz so einfach war es wohl nicht. Vielmehr blicken die, die sich heute Garifuna nannen auf eine bewegte Migrationsgeschichte zurück: Zuerst wurden die karibischen Inseln um 1200 u. Z. von Südamerika aus besiedelt. Aber es gab wohl auch um diese Zeit schon Abenteuerer, die von Afrika aus über den Ozean fuhren und sich in der Karibik niederließen. Man kann also davon ausgehen, dass es schon vor dem Eintreffen der Europäer hier eine afro-amerikanische Mischkuktur gab. Im 17. Jahrhundert kamen Franzosen, (denen die hübschen Karibikbewohner*innen vielleicht auch gefielen und), die es gerne gehabt hätten, dass die Inselbewohner*innen für sie auf den Kakao- und Kaffee-Plantagen arbeiteten. Weil die sich weigerten, erließ der französische König Luis XIII. ein Gesetz, das die Versklavung und Verschiffung von Schwarzen Menschen aus Afrika erlaubte. Aus Guinea, SierraLeone, Nigeria, Angola, Kongo und Ghana wurden Menschen auf die Inseln gebracht. Wahrscheinlich gelang immer mal wieder einigen von ihnen die Flucht. Allerdings wurden sie von den Einwohnern der karibischen Inseln auch nicht gerade herzlich aufgenommen, sondern erstmal versklavt. Aber die Afrikaner waren Freigeister und setzten sich zur Wehr oder flohen in die Berge. Da es sich wohl hauptsächlich um Männer handelte, stiegen immer wieder einige von ihnen ins Tal zu den karibischen „Ur“-Einwohnerinnen hinab, um sich mit ihnen zusammen zu tun und Kinder zu zeugen. Und so enstanden die Garifuna. Als dann die Briten die westindischen Inseln für sich beanspruchten, kämpften die Garifuna 30 Jahre lang für ihre Freiheit. Obwohl sie den Kampf verloren, hatten die Briten offenbar so viel Respekt vor den „Black Carrebeans“, dass sie sie nicht versklavten, sondern verbannten und nach British Honduras schickten.

Heute leben Garifuna in den Küstengebieten Honduras, Belizes, Nicaraguas und Guatemalas, ebensobwie in den USA und bezeichnen sich als ein transnationales Volk.

Ihre Sprache, Tänze und Musik sind von der UNESCO zum immateriellen Weltkulturerbe gekürt.

  • Wann wird aus Migranten und „Mischlingen“ ein Volk?
  • Ab wann bezeichnet man synkretistische spirituelle Vorstellungen als eine Religion?
  • Oder: Haben wir nicht alle eine Mirgrationsgeschichte?

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