Sleepless im Sprinter

Wie unsere Freundin Yvonne sagte: „Es gibt die äußere und die innere Reise“. Nicht immer sind die äußeren Highlights mit einem inneren Hochgefühl verbunden. Überhaupt ist eine Reise meiner Erfahrung nach kein andauernder emotionaler Höhenflug, wie man meinenkönnte, wenn man Reisewerbungen anschaut. Im Gegenteil: Manche Tage sind trotz wunderbarer Landschaft, interessanten Sehenswürdigkeiten und gutem Essen von Innen betrachtet einfach mies, andere, von denen es nichts Aufregendes zu erzählen gibt, fühlen sich wunderbar an.

Fremde Kulturen sind auch nicht die ganze Zeit nur spannend und exotisch. Manches, was in den Ländern südlich der USA zum Alltag gehört oder eben so ist, hat mich zunehmend genervt: dass es niemanden kümmert, wenn Toiletten nicht funktionieren, Müll an jeder Ecke liegt. Aber auch, dass ich so oft die Dollarzeichen in den Augen aufblitzen sehe, sobald Leute uns als (US-)Amerikaner oder Europäer und damit „reich“ identifizieren. Offensichtlich wird der „American Dream“ in diesen Ländern (immer noch) gerne geträumt – obwohl sie es doch sind, die die Schattenseiten dieses Traums heftig zu spüren bekommen.

Anderes, wie das herzliche „Bienvenidos“, das uns überall entgegenkommt, besonders wenn wir sagen, dass wir aus Deutschland kommen, berührt mich warm. „Wie schön, dass ihr zu uns kommt. Von Alemania bis hierher!“ Ich bezweifle, dass Fremde in Deutschland das auch so erleben.

Die USA bleibt trotz der furchterregenden Pokitik ihres aktuellen Staatschefs für mich ein wunderbares, inspirierendes und herausforderndes Land. Vielleicht auch, weil die noramerikanische Kultur der unseren doch sehr ähnlich ist, weil hier alles so schön aufgeräumt ist und ich den Eindruck habe, ich weiß wie es läuft. Natürlich auch, weil ich die Sprache größtenteils verstehe und mit den Leuten reden kann. Und auch hier erstaunt mich immer wieder, wie freundlich und offen Menschen uns begegnen.

Bei aller äußeren Entspannung kommen aber nun innere Prozesse (wieder) in Gang. Seit wir in Matamoros/Brownsville die Grenze zur westlichen Welt überschritten haben, schlafe ich schlecht bis kaum. Ich suche nach Gründen: Elektrisches Licht, das den Melatoninspiegel sinken lässt? Kosmische Energien? Zu wenig Bewegung? Wächst die innere Unruhe im Hinblick auf den absehbar näher rückenden Arbeitsalltag? Oder sind es tiefliegende Traumata, die nun an die Oberfläche gespült werden? In manchen Nächten empfinde ich eine so große Verlassenheit, dass ich nicht mehr sicher bin, ob mein schönes Leben mit Kindern, Partner und Freunden real ist oder ich in Wirklichkeit ganz allein auf der Welt bin.

Insgesamt ist die zweite Hälfte unserer Reise für mich mit einem anderen inneren Grundempfinden verbunden als der erste Teil. Zu Beginn konnte ich Rückschläge wie Handyverlust und Autopannen durch das Gefühl von Aufbruch und Neubeginn kompensieren? Die Frage: Wohin wird uns diese Reise, die äußere und die innere, führen?, ließ mich auf neue Welten, Einsichten und Visionen hoffen. Nun kehren wir zurück ohne himmlische Offenbarungen und ohne konkrete irdische Visionen. Klar ist: Wir werden nicht auswandern – fürs erste jedenfalls nicht.

Aner kann es, darf es sein, dass man so eine Reise unternimmt, ohne mit konkreten Ergebnissen zurück zu kommen? Kann es sein, dass man sich jahrelang vorbereitet und hinfiebert auf ein Abenteuer und danach ist alles so, wie es vorher war?

Offene Fragen. Bislang hege ich die stille Hoffnung, dass sich doch von innen heraus Veränderungen ergeben. Eines ist jedenfalls jetzt schon offensichtlich: Als Mutter habe ich zumindest auf der Versorgerinnen und Beschützerinnenseite nun endgültig ausgedient, nachdem auch meine Jüngsten nun einJahr lang gut ohne mich zurecht gekommen sind.

3 Anmerkung zu “Sleepless im Sprinter

  1. Martin

    Ja, sehr authentisch, berührend, Nähe herstellend. Ich lerne, dass ich am besten zurecht komme mit dem „Es ist so wie es ist“. Soll heissen: Den Moment bejahen, total annehmen, ganz und gar hingeben, es nicht anders haben wollen als es jetzt ist, egal, wie er sich gerade anfühlt und dabei so weit es mir möglich ist bei mir bleiben. Wenn mir das gelingt, bin ich mit der Existenz an sich verbunden. Ein authentisches, präsentes Wesen ist und bleibt nie allein.

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  2. Deborah Müller

    Ja, wir nehmen uns mit – immer und überallhin. Am Anfang einer Reise kommt das oft nicht zum Tragen, das Freiheitsgefühl, die Freude überwiegen – aber auf langen, stummen Fahrtstrecken und wenn es in Richtung Heimweg geht, dann kommt das eigene Ich, die eigenen Zweifel immer deutlich durch…
    Auch das beschriebende Gefühl, bin ich eigentlich „alleine“ auf der Welt kenn ich gut, vielleicht hat es mit unserem Alter zu tun. – Wir erlebten so oft die Endlichkeit von Leben und Dingen, die Kinder sind groß und nicht selten weit weg von uns. Da sind solche Fragen wohl normal – jedoch dennoch beängstigend und traurig machend.
    Von Mensch zu Mensch, von Frau zu Frau, von Mutter zu Mutter eine herzliche Umarmung!

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