Nun sind wir auch in Costa Rica auf Überreste „präkolumbianischer“ Kulturen gestoßen. Auf dem Weg nach San José treffen wir bei Guayabo, der Nähe des Vulkans Turrialba auf ein Nationalmonument: ein großes Gelände, auf dem noch die Fundamente einiger Rundbauten, eines rechteckigen Platzes, eines gepflasterten Wasserlaufes. sowie eines runden und eines eckigen Wasserbeckens zu sehen sind.

Vielleicht hat es hier einmal so ausgesehen:

Diese Rundbauten strahlen für mich eine besondere Harmonie aus und erinnern mich an Tipisiedlungen aus nomadischen Zeiten. Nur sind diese Fundamente viel größer und waren wahrscheinlich mit einer Holzkonstruktion überbaut und mit Palmenblättern gedeckt.

Dieser Platz war vielleicht ein Zentrumsort oder / und ein Ritualplatz. Ich kann mir vorstellen, wie hier zu Festlichkeiten Männer, Frauen und Kinder aus verschiedenen Dörfern zusammenkamen, wie sie mit Trommeln, Gesängen und Tänzen diese Straße hinaufzogen, wie sie auf dem grossen Platz Spiele veranstalteten und sich dann in Schwitzhütten versammelten, in einer die Frauen, in einer anderen die Männer, Reinigungs- und Heilungsrituale zelebrierten, bevor sie sich dann zu einer großen kultischen Feier in und um das Haus des Priesters oder Häuptlings versammelten.

Solche Zeignisse aus präkolumbianischer Zeit gibt es nur wenige. Offensichtlich haben viele der indigenen Kulturen nicht so großen Wert darauf gelegt, etwas für die Nachwelt oder gar die „Ewigkeit“ zu erschaffen. Die Conquistadores stießen wohl selten auf steinerne Festungen und konnten sich der selbstgefälligen Illusion hingeben, das Land sei „leer“.
Hier unterteilt man die Zeit in „vor Kolumbus“ und „nach Kolumbus“, so wie wir „vor Christus“ und „nach Christus“ sagen. Und tatsächlich markiert das, was wir in Europa lange die „Entdeckung Amerikas“ genannt haben, hier eine „Zeitenwende“ der schlimmsten Art. Als Christoph Kolumbus auf seiner 4. Seereise nach „Neuspanien“ zum ersten Mal dort, wo heute Costa Rica ist, an Land ging, brachte er „Geschenke“ mit, wie er und seine europäischen Genossen sie auch schon in Mexiko und in anderen Gebieten Mittelamerikas verteilt hatten: Pocken, Malaria, Influenza. Achtzig Prozent (80%!) der indigenen Bevölkerung starben gleich in den ersten Jahren, ohne weitere Eroberungsanstrenungen. Von den etwa 400.000 bis dahin in Costa Rica lebenden Menschen blieben so noch etwa 80.000 übrig. Ganze Dörfer starben aus, Handelsbeziehungen und Kommunikationsnetze zwischen unterschiedlichen Gemeinschaften wurden gestört oder kamen ganz zum Erliegen.

Wie in anderen Teilen der für die Europäer „neuen Welt“ wurden die Menschen, die noch übrig waren, erniedrigt, getauft und versklavt. Ja, die Kirche hat bei der Vereinnahmung der amerikanischen Gebiete eine tragende Rolle gespielt. Der Papst, als Vertreter Gottes „schenkte“ der spanischen Krone die Länder der neuen Welt. Mönche und Missionare sorgten dafür, dass die indigene Spiritualität, die so eng mit der Erde, den Tieren und Pflanzen verbunden ist,

fast vollständig ausgelöscht wurde und aus „Wilden“ brave Christenmenschen wurden, die ihren Herren Gehorsam leisteten und unter den menschenunwürdigen Bedingungen bald starben. Vielleicht ist es eine Art von Gerechtigkeit, dass es zumindest auf dem Gebiet Costa Ricas bald nur noch so wenige Indigene, sprich: Sklaven gab, dass die neuen Großgrundbesitzer bei Saat und Ernte selbst Hand anlegen mussten. – Bis sie auf die Idee kamen, Menschen aus anderen Kolonien herzubringen.
